home *** CD-ROM | disk | FTP | other *** search
/ The Very Best of Atari Inside / The Very Best of Atari Inside 1.iso / sharew / musik / dellight / liesmich.txt < prev    next >
Encoding:
Text File  |  1994-03-13  |  30.3 KB  |  472 lines

  1.                               GEERDES midisystems
  2.                          aperspective messenger service
  3.                                      (C)1994
  4.  
  5.  
  6.                                     999 BPM
  7.                                       oder
  8.  
  9.                     Schlaf der Gegenwart in voller Fahrt
  10.  
  11.                                    nach einem
  12.                            Essay von Fritz Mikesch
  13.  
  14.  
  15. Nachem er festgestellt hat, daß wir jetzt auch schon Kunstfell tragen, stinkende
  16. Bewegungsprothesen bauen und Atome spalten, preßt der Pilot einer fliegenden
  17. Untertasse seinen halmverbiegenden Stempel in ein walisisches Kornfeld,
  18. bestätigt den Beginn der kritischen Phase auf Erden und macht sich mit cirka
  19. zweihundertachtzigtausend Sachen aus dem Staub.
  20.  
  21. Ohne zu ahnen, daß der Hirnwellenanalysator seiner Maschine zufällig den
  22. Wortlaut einer wohlmeinenden Lebenshaltung gespeichert hat, deren chine~
  23. sischen Text die irdischen Edelprimaten einem gewissen Laotse zuschreiben,
  24. sofern sie noch lesen können: Ohne aus der Tür zu gehen, kennt man die Welt.
  25. Ohne aus dem Fenster zu schauen, sieht man den Sinn des Himmels. Je weiter
  26. einer hinausgeht, desto geringer wird sein Wissen. Darüber werden sich die
  27. Gelehrten seines Heimatplaneten noch lange zerbrechen, was bei uns einem Kopf
  28. entspricht.
  29.  
  30. Und dieser Umstand wird abgesehen vom Kult der schnellen Fortbewegung das
  31. Einzige sein, was die unterschiedlichen Lebensformen verbindet. Soweit es die
  32. fliegende Untertasse betrifft, eine absurde Heimlichkeit der dritten Art, weil
  33. sie doch nur beweist, daß man irgendwo in der Milchstraße die kritische Phase
  34. überstanden hat, ohne auf die Technik fortgesetzter Beschleunigung in Richtung
  35. der Lichtgeschwindigkeit zu verzichten.
  36.  
  37. Der Außerirdische hätte lieber landen sollen, um das Rezept zu verraten. Jetzt
  38. sind wir wieder allein in diesem Randsektor einer unbedeutenden Galaxis und
  39. müssen uns selber beraten. Eine heikle Sache. Denn während unsere
  40. Wissenschaftler noch unschlüssig sind, ob sie die Getreide-Botschaft des
  41. Besuchers einer Igel-Invasion mit Drehwurm in die Schuhe schieben sollen, oder
  42. einem Liebespaar, das sich seit Monaten im Kreis durch die Gerste kugelt,
  43. werden wir uns damit trösten, daß CHAOS möglicherweise Gesundheit bedeutet. Und
  44. vor dem Fernseher daran halten, daß eine Krankheit vollständig ausbrechen muß,
  45. bevor man sie heilen kann. Bis es so weit ist, vertreiben wir uns die Zeit im
  46. Halbschlaf und gestatten einer Minderheit, uns mit verwalteten Bildern
  47. vollzuschütten, die uns fremde Ängste als Beruhigungsmittel servieren.
  48.  
  49. Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Wir sind das Ergebnis einer
  50. Zündung, kommen aus einem Schwarzen Loch und sind auf dem Weg retour. Das ist
  51. Physik. Und ob sie mehr trost spendet, als die Religion, mag entscheiden, wer
  52. will. Ich bin nicht mehr gefaßt darauf, geboren zu sein. Das verdanken wir nach
  53. Immanuel Kant jenem sicheren Gang der Wissenschaft, dem der forschende Geist
  54. Tribut erweist, indem er die Natur wie ein Richter nötigt, seine Fragen zu
  55. beantworten. Und nach aktueller Überzeugung der neuesten Definition des
  56. Menschen, die da lautet: Physik treibendes Wesen. Dessen Treiben so erfolg~
  57. reich ist, weil es den Menschen verschwinden läßt. Unbeweglich sitzen wir vor
  58. dem Bildschirm. Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn. Es schwinden,
  59. es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur andern, wie
  60. Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse hinab.
  61. Was hätte sich geändert am Inhalt dieser Zeilen aus Hölderlins Schicksalslied?
  62. Abgesehen von der Beobachtung, daß wir nun schneller fallen, obwohl sich die
  63. Fallgeschwindigkeit nicht ändern kann. Denn keine physikalische Theorie
  64. ermöglicht religiöse Sinnstiftung oder auch nur die Rechtfertigung einer Meta~
  65. physik der Natur. Quanten- und Relativitätstheorie, Synergetik, Chaosforschung,
  66. Laserphysik, vereinigte Feld-Theorie, keine dieser Methoden ist imstande, den
  67. Graben zwischen Subjekt und Objekt zu überbrücken. (nach H.D. Mutschler). Oder
  68. sollte man sagen: den Graben zwischen Ursache und Wirkung, der angeblich eine
  69. feste Brücke darstellt? Wie dem auch sei, indem wir die Frage stellen, was die
  70. Arbeitsweise der Naturwissenschaftler zum Modell der Vernunft stilisiert hat,
  71. nützen wir zugleich die Technik, um alles, was sich zu schnell ereignet,
  72. künstlich langsam zu machen. Und umgekehrt. Woraus sich im ersten Fall zum
  73. Beispiel eine Art von Ruhe gewinnen läßt, die sich einstellt, wenn uns die
  74. Apparate der Zerstreuung etwa das neo-kontemplative Ereignis einer gemächlichen
  75. Katastrophe anbieten. Sagen wir, den Tod eines Piloten in den Trümmern seiner
  76. Maschine. Sein letztes Bild: das Entfernte dehnt sich aus, wie eine explo~
  77. dierende Sonne. Schnitt.
  78. Wir konstatieren zärtliche Genauigkeit. Das Flugzeug streift den Boden, der es
  79. mit mehr Feingefühl in vier Teile zerlegt, als ein Feinschmecker imstande wäre,
  80. seine Feige zu schälen, wie es der Mensch in Zeitdruck aus dem gleichnamigen
  81. Roman von Paul Morand beobachtet. Waren wir jemals in dieser Lage? Nein. Denn
  82. wir sind nur das genießende Opfer unserer Zeugenschaft, der nichts mehr
  83. verborgen bleibt, weil sich das Verborgenste bereits als Genußmittel aufdrängt,
  84. auch wenn es uns eine Gänsehaut beschert.
  85.  
  86. Wer alles sieht, sieht nichts. Und wer sollte entscheiden, wo das Kino aufhört,
  87. wenn sich nicht mehr sagen läßt, wo die Wirklichkeit anfängt? Nichts finden wir
  88. weniger glaubwürdig, als das Ereignis auf offener Bühne, dem wir unbewußt
  89. unterstellen, es sei zu verborgen, um wirklich zu sein. Trotzdem, wir sind
  90. dabei und überleben die fiktive und reale Konsequenz, so oft wir wollen. Indem
  91. wir eine Videoaufzeichnung der betreffenden Szene im Fernsehen machen, die wir
  92. nach Belieben vorwärts und rückwärts laufen lassen. Und zugleich vergessen, daß
  93. wir uns in eine Lage versetzen, in die niemand kommen kann. Weil uns die
  94. kodifizierte Mitteilung den vagen Triumph des Überlebens im Sessel vorgaukelt,
  95. oder das Gefühl
  96. der Unsterblichkeit von Göttern. Dies alles, um die lange Weile zu
  97. zerstreuen, die uns das Gegenteil einflüstert.
  98.  
  99. Aber vielleicht ist es ja gerade dieser Drang zur Ablenkung vom
  100. Wesentlichen, der uns nicht nur zerstreut, sondern auch unsere gestaltenden
  101. Kräfte freisetzt, die allen niederdrückenden Empfindungen entgegenwirken.
  102. Und sei es auf die zweideutigste Weise. Denn frisch gefallenen Schnee, oder
  103. ein weißes Blatt Papier, das ertragen wir nicht. Lauern der Einbildung auf,
  104. die kreuz und quer ins Leere schießt. Dulden nicht, daß etwas unbeschrieben
  105. oder ungeschehen bleibe. Hand und Herz verbünden sich, fatal und wunderbar
  106. zugleich. Wir sind das Kreuz, in dem einander Tun und Lassen immerwährend
  107. schneiden. Betrachten wir aber Tun und Lassen optimistisch als gleichbedeutend
  108. und die stellvertretenden Linien, die sich kreuzen, als gleich lang, dann
  109. brauchen wir nur einen Kreis zu ziehen, schon zeigt sich das Rad. Und mit dem
  110. Radkreuz der fragwürdige Vorzug allen Fortschritts im Namen der Beschleunigung,
  111. die wir als ein Merkmal der schöpferischen Hauptrichtung auf diesem Planeten
  112. deuten dürfen.
  113.  
  114. Jetzt kommt die Sache ins Rollen und weil die Gedanken zuweilen frei sind,
  115. bemühen wir eine chinesische Überlieferung, die uns belehrt, Gott bekämpfe die
  116. Menschen im Zeichen des Schöpferischen. Was immer das heißen mag, wenn wir die
  117. Unruhe als Merkmal der Kreativität begreifen, das Radkreuz als Zeichen der
  118. Sonne und das Licht als Attribut Gottes, dann wird klar, warum uns die
  119. Gegenwart zu schaffen macht, während unser kurzes Leben über all dem
  120. Fortschritt aufleuchtet, wie die Flamme an einem Streichholz. Ob wir nachahmen,
  121. was uns geschaffen hat, indem wir alles tun, was uns vernichten könnte, muß ein
  122. Gedanke bleiben, der paradoxe Antworten provoziert. Im alten China jedenfalls
  123. galt das Schöpferische zwar als rund, zugleich aber beschaffen wie aus Nephrit
  124. und Metall, als hart, fest, klar und kalt, tief rot und durchsichtig gefroren,
  125. wie Eis. Eine Beschreibung, deren gefährliche Aspekte der Schönheit gut zu
  126. einem Künstler passen würden, den das Kunstwerk zu fürchten hätte, an dem wir
  127. als sterbliche Formen teilhaben. Ist das wahrscheinlich? Alles Gegrübel ist
  128. hinfällig. Erinnert an die Skulptur des Denkers von Auguste Rodin. Eine schwere
  129. Zusammenballung von Muskulatur und schlechter Haltung.
  130.  
  131. Gut, machen wir eine Pause. Im Namen der Poesie kann der Mensch ohnehin nur
  132. noch alles weglassen und schweigen, ohne zu denken. Schauen wir ins Wasser und
  133. betrachten wir den ausgehöhlten Kürbis, der da vorbeidümpelt. Die schwimmende
  134. Kalebasse. Kommentar des Zenmeisters Sengai: Sie ist niemals ruhig, einmal geht
  135. sie unter, dann taucht sie wieder auf, je nach Laune des Windes. Was aber die
  136. Kalebasse selbst betrifft, so bleibt sie gänzlich unberührt davon. Buddha oder
  137. der Teufel, jeder mag versuchen, sie zu fassen. Die Kalebasse aber gleitet
  138. ihnen flink durch die Finger; sie ist schlüpfrig und äußerst ausweichend. Wie
  139. ärgerlich!
  140.  
  141. Was soll das heißen, was kümmert mich ein hohler Kürbis, könnte man fragen,
  142. sind das die Probleme, die uns nicht schlafen lassen? Möglich. Denn es handelt
  143. sich um die östliche Hochzeit von Respekt und Humor auf den Spuren der
  144. Resignation. Man verneigt sich auf entlastende Weise vor der tiefgründigen
  145. Frage nach dem : woher, wohin, was ist das, worin ich bin? und macht das
  146. Problem als schwimmtüchtigen Hohlraum einer getrockneten Gemüsefrucht faßlich,
  147. deren bewegliche Erscheinung an der Oberfläche so gleitfähig ist, daß niemand
  148. sie fassen kann. Zitat: Die letzte Wirklichkeit treibt vor unseren Augen dahin,
  149. ungeachtet unserer intellektuellen Versuche, sie auf dem festen Brett der
  150. Verständlichkeit festzunageln. Das Wesentliche ist deshalb, uns immer selbst
  151. damnit zu identifizieren und mit ihr dahintreiben zu lassen auf dem ewigen
  152. Strom. Des Lebens oder des Todes? Da man sich eines ohne das andere nicht
  153. vorstellen kann, stellt sich hier ohne Rücksicht auf alle japanischen
  154. Beruhigungsversuche die frage nach dem Stellenwert der Unterscheidungsgabe. Ist
  155. sie ein spätes Erbteil des Unfalls, dem die Schöpfung die beachtliche
  156. Vollkommenheit ihrer unermeßlichen Unvollkommenheit verdankt?
  157.  
  158. Daisetz Daitaro Suzuki, dem wir das Bild vom ewigen Strom der Wirklichkeit
  159. zuschreiben, geht leider nicht mehr auf diesem Planeten spazieren. Er mag es
  160. nun wissen. Oder nicht. Ob der Strom aller Myriaden Einzelheiten des gewaltigen
  161. Kosmos, diese endlose Konsequenz einer Detonation aus dem Nichts mitsamt
  162. unserem verdünnten Subjektbewußtsein im Dienste der Physik geeignet ist, um den
  163. Begriff der Ewigkeit und ihrer Stille zu illustrieren, wird fraglich, wenn wir
  164. uns an Meister Eckhart halten, denn alle Dinge sind der Ewigkeit gleicher, je
  165. unbewegter sie sind. Und wie verhält sich die Schau des christlichen Mystikers,
  166. wenn wir sie mit der Überzeugung des zeitgenössischen Beobachters der
  167. allgemeinen Beschleunigung und Theoretikers der Geschwindigkeit Paul Virilio
  168. vergleichen? Es ist das Licht der Geschwindigkeit, das von nun an die
  169. Ausdehnung und die Dauer eines neuen Tages erhellt, da es ganz
  170. selbstverständlich zu sein scheint, daß die Geschwindigkeit die Zeit in genau
  171. jenem Augenblick ausdehnt, in dem sie den Raum verengt. Was könnte man daraus
  172. folgern?
  173.  
  174. Je schneller es dahingeht, desto undeutlicher wird alles. Und während das
  175. Undeutliche immer heller wird, schließen die Passagiere geblendet die Augen.
  176. Nun stellt sich der Traum vom Sehen ein. Das Theater der Umdeutung aller Werte
  177. und des Wandels aller Begriffe ist ausverkauft, alle Plätze sind besetzt, der
  178. Vorhang will sich nicht heben. Kein Wunder, der Blick geht in den
  179. Zuschauer-Raum, die Vorstellung hat längst begonnen, und während das volle Haus
  180. des Planeten durch die Leere rast, erscheint hinter den wartenden Massen auf
  181. der Bühne, die nicht wissen, daß sie sich auf der Bühne befinden, hinter diesen
  182. Akteuren, die man auch für Schlafende halten könnte, obwohl sie zugleich Regie
  183. führen und alle Rollen spielen, von Projektoren in die jüngste Vergangenheit
  184. geworfen, ein vorläufiger Titel der gegenwart: Licht, Geschwindigkeit,
  185. Bewegung, Fahrt ins Dunkel ohne Lenker. Die Handlung des Stückes ist offen, der
  186. Ausgang ungewiß.
  187.  
  188. Zwölftausend Millionen Augenlider entsprechen sechstausend Millionen seelischer
  189. Bildschirme. Und diese Bildschirme ebensovielen Vermutungen über die wahre
  190. Natur des mutmaßlichen Autors. Jener Instanz, die sich in ihren Geschöpfen
  191. träumt, während alle diese Träumenden sich in der Gewißheit wiegen, ihr heftig
  192. bebilderter Zustand beschreibe das Wachsein jener Person, die da sagt: ich weiß
  193. nicht, wer ich bin.- Ein schmerzliches Echo der ersten Ursache, denn notwendig
  194. muß dieses weltenzeugende und weltengebärende Ereignis der Abschied aller
  195. ungeteilten Vollkommenheit von sich selbst gewesen sein. Ein Sturz aus
  196. unbewegter Ewigkeit in den Abgrund unendlicher Ausdehnung aller endlichen
  197. Erscheinungen.
  198.  
  199. Kann es angemessen sein, in beschreibenden Gleichnissen zu denken, oder ist das
  200. nur ein Spiel mit Wörtern? Fragen wir den Physiker Nils Bohr, der die Ansicht
  201. vertritt, daß wir in der Sprache schweben, und zwar so, daß wir nicht wissen,
  202. wo oben und unten ist. Er zitiert David Bohm: man muß ausdrücklich auf eine
  203. Beschreibung in Zeit und Raum verzichten. Das Verlangen nach einer intuitiven
  204. Vorstellung, die mit den Bildern in Raum und zeit konform geht, ist nicht zu
  205. rechtfertigen.
  206.  
  207. Die ganze feste, fühlbare, sichtbare und hörbare Welt ist nur eine Illusion.
  208. Alles ist dynamisch uns kaleidoskopartig, nicht wirklich hier, - er schweigt
  209. einen Augenblick und fügt hinzu: jede Idee, die nicht auf den ersten Blick
  210. absurd erscheint, ist hoffnungslos. Franz von Assisi lächelt: ist das, was wir
  211. sehen wollen, das was wir sehen? Keine Antwort. Oder doch? Man sollte sich an
  212. die bestimmende Informationsquelle wenden. Belauschen wir das globale
  213. Fernsehprogramm: jetzt muß ich was trinken, sonst komm ich wieder zu
  214. Bewußtsein, sagt Yves Montand zu Romy Schneider. Die meisten der besten Leute
  215. sind tot, sagt John Cleese einen Kanal weiter. Das einzige, was im Leben zählt,
  216. ist die Sprache, ergänzt Richard Burton nach dem Umschalten und greift als
  217. Verstorbener nach dem Glas, als würde er noch leben. Frau Taylor sitzt daneben
  218. und weint vergangene Tränen, man möchte ihr ein Taschentuch reichen, aber sie
  219. hat inzwischen längst einen Maurer geheiratet und sich wieder scheiden lassen.
  220. Was wir nicht wüßten, wenn wir nicht lesen könnten. Interessant. Schalten wir
  221. um. Eine Disco in Bremen. Reporter: Wie finden sie die Musik? Antwort: Tierisch
  222. geil. Was ist denn das Geile daran? Daß es nie aufhört. Umschalten, ein
  223. Faßbinder_Film, Frage der Prostituierten: Warum ist sie denn traurig, die
  224. Seele? Antwort des Zuhälters: weil sie mehr weiß, als der Verstand. Wir sind
  225. verkabelt und dürfen hüpfen, bis uns der Finger bricht, Druck auf die Taste,
  226. Naturwissenschaft.
  227. Thema: Wer sind wir? Aus einem Meer von identischen Schnüren in einer
  228. zehndimensionalen Raumzeit. Temperatur: 10 hoch 32 Grad Celsius. Shiva oder der
  229. sogenannte Plancksche Wert. Wohin soll es gehen? Auf keinen Fall zurück. W a r
  230. u m nicht? (es gibt auch andere Thesen) - Mag sein. Schwerefelder können aber
  231. niemals zulassen, daß ein Objekt seine Vergangenheit aufsucht. Also k e i n e
  232. Zeitreisen in die Vergangenheit? Nein. Gibt es einen Plan? Was für einen Plan?
  233. Für alles. Schwer zu sagen, Kühe, Ameisen, Geranien waren keineswegs
  234. unausweichliche Produkte der Evolution. Sondern? Ein zufälliges Ergebnis der
  235. Abkühlung. Der zehndimensionalen Raumzeit? - Der Kausalitätsexplosion, wenn Sie
  236. so wollen. Gilt das auch für Menschen? Natürlich. Kennen Sie John Cleese? - Wer
  237. ist das? Er hat vor fünf Minuten gesagt, die meisten der besten Leute seien
  238. tot. Sollte der Urknall die Explosion Gottes gewesen sein? -
  239.  
  240. Das Wort Gottes ist ein indogermanisches Verb und bedeutet Anrufung durch
  241. Zauberkraft, man könnte auch sagen, das durch Zauberkraft Heraufbeschworene.-
  242. Also eine Art Spiegel dessen, was zaubert? Möglich. Falls sich herausstellen
  243. würde, daß wir sind, was wir beschwören, dann scheint allerdings Vorsicht
  244. geboten.- Sind wir mächtiger als wir wissen?-
  245.  
  246. Es gibt nichts, was dem Begriff der Materie entspricht. Wirklichkeit entsteht,
  247. indem etwas festgestellt wird und Erwartungshaltungen bestimmen das Ergebnis.
  248. Wir sind Menschen nur in der Sprache. Ohne Sprache kein Bewußtsein. Unsere
  249. Erkenntnisfähigkeit hat Grenzen. Aber in dieser Beschränkung liegt Macht. Und
  250. diese Macht läßt den Gegenstand der Frage- Verzeihung- Bitte? - Gestatten Sie
  251. mir eine Frage. Fragen Sie. - Wo sind wir? - Die Frage läßt sich nicht exakt
  252. beantworten - Das Ding läßt sich nicht mehr umschalten - In dieser Beschränkung
  253. liegt Macht - Schalten wir aus : ? Nichts zu machen. - Und diese Macht der
  254. Beschränkung läßt den Gegenstand der Frage so erscheinen, wie es der Natur des
  255. Fragenden entspricht.- Ein schwacher Trost. - Sagen Sie das nicht. Wenn es
  256. stimmt, daß unbekannte Ursachen unter gewissen Bedingungen unbekannte Wirkungen
  257. hervorbringen, dann gibt es vielleicht Anlaß zum Optimismus.- Was heißt das? -
  258. Hoffnung auf neue Gesetzmäßigkeiten.- Eine neue Ordnung? - Wenn Sie das Chaos
  259. so nennen wollen.- Gute Nacht.- Im Gegenteil.
  260. Da sich unterschiedliche Systeme in ihrem Übergang von Ordnung zu Chaos
  261. identisch verhalten und das Chaos Universalität hervorbringt, ist der
  262. Chaosbegriff mit der Hoffnung verknüpft, daß sich durch die Lösung eines
  263. einzigen leichten Problems viel schwierigere Probleme bewältigen lassen. Natur
  264. und Welt, auch die Politik, alle Systeme sind viel offener, als wir dachten.
  265. Möglicherweise kann man sogar sagen: Chaos ist Gesundheit.- Guten Morgen. Wie
  266. spät?- Wer soll das wissen.- Und was ist das für eine zehnstellige Zahl auf dem
  267. Zifferblatt des Weckers, hinter dem Komma nach der Vier? Die Zahl der
  268. Gesundheit, wenn wir dem Herrn aus der geträumten Tele-Vision glauben und das
  269. Chaos so nennen wollen. Vier komma sechstausend sechshundertzweiundneunzig
  270. Millionen, sechzehntausend und neunzig Millionstel wovon? Eines Zustands,
  271. dessen blumenhafte Muster bereits zum modischen Kalenderblatt verkommen. Es
  272. handelt sich um die sichtbaren Ergebnisse der Wissenschaft von den Fraktalen.
  273. Man erhält sie, wenn man das Farb- und Formpotential eines Grafik-Computers mit
  274. dem Befehl füttert, alle Verhältnismäßigkeiten nach Maßgabe der genannten
  275. elfstelligen Zahl zu berechnen, deren Ziffern nach ihrem Entdecker auch als
  276. Mandelbrotmenge bekannt sind. Dieser eigentümlich unattraktive Code 4 komma 6 -
  277. 6 - 9 - 2 - 0 - 1 - 6 - 0 - 9 - 0 wird unter anderem der widersprüchlichen
  278. Beobachtung gerecht, daß die Küstenlinie einer unbegrenzten Landmasse als
  279. unendlich gelten muß. Ob wir aufgrund dieser paradoxen Einsicht künftig von
  280. einem fraktalen Wohlgefühl sprechen werden, wird sich zeigen.
  281.  
  282. Da uns das Licht der Geschwindigkeit blendet, und nach Meister Eckart alle
  283. Dinge der Ewigkeit gleicher sind, je unbewegter sie sind, dürfen wir mit dem
  284. Rest der Schöpfung weit genug von der Ewigkeit entfernt sein und werden uns
  285. vorläufig damit zufrieden geben müssen, daß wir als sterbliche Warmblüter
  286. zugleich unendlich sind. Ob unsere Selbstähnlichkeit der Idee des Menschen
  287. entsprechen kann, scheint im Augenblick fraglich, weil uns sogar unsere
  288. eingebildete Gottähnlichkeit nach neueren Erkenntnissen bestenfalls in die Nähe
  289. von Schwarzen Löchern rücken würde. Jedenfalls naturwissenschaftlich gesehen.
  290. Gibt es Beweise? Wahrscheinlich. Man wird daran glauben müssen. Was ist schon
  291. wahrscheinlich. Nun ja, zum Beispiel, daß ein Schimpanse, der ein paar
  292. Millionen Jahre nach Affenart auf einer Schreibmaschine herumhämmert,
  293. irgendwann ein Shakespeare-Sonett zusammentippt. Typsh Villem Flusser, der uns
  294. nebenbei verrät, Intelligenz sei die Fähigkeit, etwas aus einem Haufen zu
  295. picken. Weniger wahrscheinlich sind die Voraussetzungen für das Beispiel vom
  296. langlebigen Primaten und seiner haltbaren Schreibmaschine.
  297.  
  298. Es handelt sich um das Wahrscheinlichkeitsgefälle im Verhältnis zur Theorie.
  299. Bravo. Die Ordnung im Kopf nimmt ein bißchen zu, die Wärme, die dafür benötigt
  300. wird, vermehrt die Unordnung des Universums beträchtlich. Nach Stephen Hawking
  301. sind das zwei Millionen Einheiten Ordnung gegen zwanzig Millionen Millionen
  302. Millionen Millionen Unordnung. Theoretisch folgt daraus, daß wir in praktischer
  303. Hinsicht mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Chaos verpflichtet sind. Sollte das
  304. die Erklärung für den Zustand aller menschlichen Angelegenheiten sein? Während
  305. der letzten Jahre hat uns das Wissen um die Chaos-Zahl den betörenden Kitsch
  306. einer neuen Ornamentik beschert, deren konzentrisch gewundene Zeichen dem
  307. chaotischen Prinzip der Selbstähnlichkeit entspringen. Es handelt sich um den
  308. ästhetischen Kanon einer Formenwelt, deren sichtbare Schönheit uns durch
  309. regelmäßige Verkleinerung und Wiederkehr des Immer-Gleichen im Rahmen der
  310. Sichtbarkeit eine Fortsetzung bis in den subatomaren Bereich andeutet.
  311.  
  312. Diese bildgewordenen Exempel der Mathematik sind ein Abglanz jener neuen Art
  313. von Hoffnung, deren erschreckende Konsequenzen uns ansehen, während wir den
  314. betäubenden Augentrost ihrer dekorativen Wirkung bewundern. Man könnte sie als
  315. den schönen Schein einer verheerenden Botschaft begreifen. Daß nämlich auch wir
  316. so sind, wie wir schon immer waren. Und immer so sein werden, wie wir jetzt
  317. sind. Als sichtbare Formel für das : wie oben so unten. Für die
  318. Ebenbildlichkeit der Ebenbildlichkeit. Als Nachweis dafür, daß wir den Ursachen
  319. gleichen. Weit hinausgerückt in der Zeit den ersten Anfang spiegeln. Als
  320. Zeugnis dafür, daß unser erschaffendes Wesen den Schöpfungsimpuls wiederholt
  321. bis in alle Unendlichkeit. Als Bestätigung des nicht zu erlösenden Charakters
  322. der Unerlöstheit. Dem wir Ausdruck verleihen, indem wir als Zufall existieren.
  323. Fünf bis achtzehn Milliarden Jahre sind vergangen. Aus Teilchenklumpen von
  324. unterschiedlicher Komplexität entstand unser Zentralnervensystem. Späte
  325. Voraussetzung für Gedanken, die sich gegenwärtig in alles Verborgene drängen,
  326. um alles Gegebene zu verbessern, während sie ihren kindlichen Optimismus aus
  327. dem Chaos ableiten, indem sie es vergrößern.
  328.  
  329. In diesem Augenblick, da unser technisch hochgerüstetes Jahrhundert der
  330. automatisierten und maschinellen Barbarei den Ängsten seiner Jahrtausendwende
  331. entgegenschwindet, scheint es nach Immanuel Kant immer noch und mehr denn je
  332. zuvor die Kultur zu sein, die vernünftige Wesen tauglich macht für beliebige
  333. Zwecke.
  334.  
  335. Apparate kodifizieren die Welt der Zerstreuung, bald wird es gelingen, auch
  336. unsere Leiden und sogar den Tod entsprechend zu programmieren. Man wird sich
  337. erinnern, die Krankheit muß vollständig ausbrechen. Da, eine Mücke. Vorsicht, -
  338. wer sich umbringt, ist t o t - zu spät. Hundert Watt sind stärker. Durch Nacht
  339. zum Licht. War d a s die richtige Formel? Menschen sind keine Mücken. Aber wenn
  340. wir den Fortschritt mit sengender Hitze vergleichen, dann schließt sich ein
  341. Kreis. Wir beten Bilder an, die Bilder zeigen, wie Beschleunigung den Raum
  342. verschlingt, das Tempo hat ein Ziel, man nennt es Lichtgeschwindigkeit, die
  343. Helligkeit nimmt zu, unsere Wahrnehmung dehnt sich aus, bis alles verschwindet.
  344. Das Licht der Erkenntnis streift den Boden der Verzweiflung, der unsere
  345. Gedanken mit Feingefühl in winzige Splitter zerlegt. Es wird so hell, daß alles
  346. flimmert, wie ein leerer Bildschirm. Geblendet schließen wir die Augen. Schlaf
  347. der Gegenwart in voller Fahrt.
  348.  
  349. Ein Sechszeiler von Rilke mag diese vorläufige Diagnose ergänzen: Aus
  350. unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten wie schwache Fontänen, die sich
  351. zeitig und zitternd neigen. Aber, die sich uns sonst verschweigen, unsere
  352. fröhlichen Kräfte - zeigen sich in diesen tanzenden Tränen. Als würde gelöscht,
  353. was noch nie brennen durfte. Klage des glimmenden Funkens, dem eine Ahnung
  354. seiner ursprünglichen Natur aus dem nächtlichen Ozean leuchtet, dessen Wellen
  355. im Licht des Mondes glänzen, das von der Sonne stammt. Sind wir der Wille
  356. dessen, was uns schuf? Gibt es zweierlei Licht und zweierlei Zeit? Kann sein.
  357. Vielleicht. Ob wir den Urknall voraussetzen, oder nicht, irgendetwas werden wir
  358. immer voraussetzen müssen. Denn noch immer lautet die Frage: Was war die
  359. Voraussetzung für das, was wir gerade nach neuesten Erkenntnissen an den Anfang
  360. stellen? Was also hat wo und wie sich selbst entzündet, wenn es vorher keinen
  361. Raum gab, und keine Zeit? Einer von diesen Denkanstößen, die aus dem Ereignis
  362. hervorgehen, um nachträglich die Ursache zu bedenken. Eine Aufgabe, die den
  363. Menschen überfordert. Denn die Gesetze, die in einem unendlichen, aber
  364. geschlossenen System herrschen, gestatten keine Rückschlüsse auf irgendetwas
  365. außerhalb seiner Grenzen. Auch wenn die Grenzen nicht zu finden sind. Was
  366. offenbar zum System gehört.
  367.  
  368. Entspricht das weitläufige Gefängnis der Zeit einem göttlichen Ausdruck? Fragen
  369. über Fragen. Mit hoher Beschleunigung kristallisieren neue Wissenszweige.
  370. Informationsmengen schießen zusammen in dieser Welt der schillernden Fakten,
  371. die alles ist, was da täuschend fällt, wie die Würfel fallen. Immer mehr müßte
  372. immer schneller gelernt werden, obwohl immer weniger Zeit dafür bleibt. Denn
  373. unser Zeitgewinn wird von Terminen verschlungen, die immer enger
  374. zusammenrücken.
  375.  
  376. Mit Sicherheit ist das Universum ungeheuer schnell entstanden. Ist es nicht,
  377. als wäre das unfaßliche Tempo verschlüsselt heraufgewandert bis ins zwanzigste
  378. Jahrhundert, um als offener Code plötzlich loszubrechen in den Köpfen der
  379. denkenden Menschen? Und einen riskanten Trend zu entfesseln, dem die Urmaterie
  380. besser gewachsen wäre, als ihr spätes Produkt, dieser empfindlich beschaffene,
  381. unerbittlich wißbegierige und grausam tüchtige Homo sapiens der technischen
  382. Zivilisation? Deren erfindungsreichen Hang zur expansiven Selbstverwirklichung
  383. man vielleicht als unbewußte Nachahmung des Urknalls deuten könnte, ohne den
  384. milderen Begriff der Sehnsucht nach dem Ursprung zu bemühen. Wir schweben in
  385. der Sprache.
  386.  
  387. Aber wir schweben falsch. Denn die Hauptrichtung aller energischen Bemühungen
  388. provoziert den Zusammenbruch aller Systeme, die sich auf menschliches Maß
  389. gründen. Dort wartet möglicherweise der Sinn des unsinnigen Unternehmens.
  390. Nämlich die Erkenntnis, daß es nur eine einzige Alternative gibt: den
  391. Entschluß, wieder langsamer zu werden.
  392.  
  393. Denn wie lautet das Paradox des Abendlandes? Was funktioniert, ist bereits
  394. überholt. Es steht zu hoffen, daß dieser Kernsatz auch auf den menschlichen
  395. Größenwahn zutrifft und auf alle Insignien der Erbarmungslosigkeit, die wir uns
  396. zugelegt haben. Alles haben wir vorgefunden. Nichts können wir machen. Nicht
  397. das Bescheidenste der Geschöpfe, die uns preisgegeben sind, am allerwenigsten
  398. das Wasser oder die Luft.
  399.  
  400. Und wenn Descartes unseligerweise vorschlägt, auch die Natur als "gemacht" zu
  401. begreifen, sozusagen als hyperkomplexe Maschine oder als grenzenloses
  402. Werkstück, dann übertreffen die Fähigkeiten der wie auch immer gearteten Hand
  403. alle Möglichkeiten menschlichen Herstellens so sehr, daß der Vergleich
  404. zusammenbricht. Aristoteles hat es zeitlos formuliert: Vergräbt man ein
  405. Bettgestell aus Weidenholz, so wächst an dieser Stelle (wir fügen hinzu: falls
  406. überhaupt etwas wächst), kein Bettgestell, sondern eine Weide. Umrunden wir
  407. also im Namen der Biosphäre den drohenden Flächenbrand unüberwindlicher
  408. Dummheit und ziehen wir den Hut vor den Bäumen.
  409.  
  410. Es gibt nichts, womit wir nicht gemeinsam in der Falle gessen hätten, ohne uns
  411. von irgendetwas anderem zu unterscheiden. Man stelle sich Elementarteilchen,
  412. Licht, Raum und Zeit vor, Schwerkraft über jeden meßbaren Wert hinaus, alles
  413. punktförmig verdichtet. Dieser Punkt hat allem die Existenz beschert. Ob wir
  414. ihn als Singularität begreifen, oder als Quelle gestauten göttlichen Atems,
  415. spielt keine Rolle. Diesseits der Ereignishorizonte muß dieser Punkt zwingend
  416. identisch sein mit dem Nichts und das Nichts kann es nicht geben. Daraus folgt
  417. mit entsprechender Logik, daß etwas Nicht-Mögliches die Summe aller
  418. Möglichkeiten enthalten kann. Und wenn wir den Gedanken umdrehen, dann muß die
  419. Fülle der Erscheinungen zugleich eine einzige Täuschung sein. An deren
  420. Schattenspielen wir mit allem anderen teilhaben, weil wir uns in einem
  421. kosmischen Film befinden und auf der Leinwand bewegen. Als hätte die Einsamkeit
  422. das Kino erschaffen, um ihre Selbsterkenntnis zu zerstreuen. Myriaden
  423. vergänglicher Schicksale von unterschiedlicher Dauer spiegeln das Licht der
  424. Projektionen in den Projektor zurück, der sie erscheinen läßt, indem er das
  425. Drama von Werden und Vergehen weit hinauswirft in den leeren schwarzen Raum.
  426. Bleibt nur die Frage: wer täuscht hier wen oder was täuscht sich selbst ?
  427. Leidvolle Praxis.
  428.  
  429. Man muß kein Buddhist sein, um aus dieser Betrachtung die Gründe für ein
  430. allumfassendes Mitgefühl abzuleiten. Vielleicht ist es das , was der Schöpfung
  431. fehlt. Und vielleicht sind wir "Kinder des Zufalls" die vorgesehene Chance,
  432. diese Qualität zu verwirklichen. Falls wir uns nicht vorher von der Tafel
  433. wischen, weil es uns gefallen hat, die Gabe der Einsicht dem Trotz der
  434. abhängigen Kreatur zu opfern.
  435.  
  436. Da fällt mir ein Knabe ein, der seine Mutter das Wort Urknall sagen hört. Aha,
  437. sagt der Sohn, etwas knallt, die Uhr platzt, und die Zeit hört auf. Nein, sagt
  438. die Mutter, es knallt, etwas platzt, und die Zeit fängt an. Die Anekdote
  439. beschreibt entgegengesetzte Denk-Enden und charakterisiert die Spannweite
  440. möglicher Entwicklung in der Sphäre des Plötzlichen. Schlaf der Gegenwart in
  441. voller Fahrt. Werden sich die geblendeten Augen öffnen? Vertrauen wir dem
  442. gesunden Chaos.
  443.  
  444. Wenn es stimmt, daß bekannte Ursachen unter gewissen Bedingungen unbekannte
  445. Wirkungen hervorbringen, dann gibt es Hoffnung für die Hoffnungslosen, einen
  446. Ausweg aus der Falle, die sich geschlossen hat und endlich Spielraum für unsere
  447. fröhlichen Kräfte. Wenn auch in letzter Minute. Fünf nach zwölf. Leicht gehen
  448. die Gedanken über die Lippen, fest sitzt die Schwere in allen Gliedern. Das ist
  449. der Mensch.
  450.  
  451. Im Zentrum der Milchstraße lauert Schütze A WEST auf eine Gelegenheit, das
  452. Licht des Jesus Rex Salvator IRS 16 zu verschlingen. Hundert eingestürzte
  453. Sonnen gegen dichte Haufen massenreicher Sterne. Ein Schwarm von
  454. Infrarot-Impulsen im Sog einer Radio-Quelle, zusammengebrochen unter dem
  455. Ansturm der eigenen Anziehungskraft. Millionen von Planeten platzen wie
  456. Seifenblasen und fallen zurück in die Mütter. Endspiel der obersten Liga. Diese
  457. Auseinandersetzung beugt sogar die Zeit. Es ist kaum anzunehmen, daß wir den
  458. Sieger der letzten Runde erfahren. Das ist der Himmel. Man vermute "einen
  459. schwarzen Zwerg" in der Mitte der Galaxis, sagen die Astronomen. Das ist es,
  460. was wir zu wissen glauben.
  461.  
  462. ...
  463.  
  464. NACHDRUCK - AUCH AUSZUGSWEISE - NUR MIT GENEHMIGUNG: 
  465.  
  466. (C)1994 
  467. GEERDES midisystems
  468. Bismarckstr. 84
  469. 10627 BERLIN
  470.  
  471.                                       
  472.